Belgiens Biervielfalt: Eine Reise zu den Nischen-Brauereien

ein Reisebericht von Simon Felix

Mit Verspätung landet mein Swiss-Flug an diesem Mittwochnachmittag im November 2023 auf dem Flughafen in Brüssel. Während ich mit grossen Schritten durch den langen Terminal zu der Gepäckausgabe schreite, ruft mich mein Chauffeur an und erkundigt sich, wo ich bin. Er erwartet mich beim Ausgang und fährt mich anschliessend durch die verregneten Strassen von Brüssel in das 4-Sterne-Hotel The Dominican im Zentrum. Wie der Name schon andeutet, ist das Haus ein ehemaliges Dominikaner-Klostermönche. Diese Geschichte wird weiter zelebriert und ich erlebe sie, als mit beim Betreten des Liftes der Duft von Weihrauch in meine Nase steigt. Als ich nach oben fahre, ertönt klösterlicher Gesang. Halleluja. Dieses Hotel wird mir in Erinnerung bleiben.

Ich schnappe mir einen Regenschirm und spaziere zum Grand Place, um mich in einem der vielen Schokoladengeschäften mit belgischer Schokolade einzudecken. Zur Kompensation des schlechten Wetters gönne ich mir zudem eine feine belgische Waffel. Gestärkt schlendere ich weiter durch die Altstadt, bewundere die historischen Gebäude und beobachte die Touristen, die vor dem Manneken Pis ihre Selfies schiessen. Mit einem genüsslichen Abendessen beende ich mein kurzes Sightseeing in Brüssel und lege mich schlafen.

Grimbergen - Zu Besuch bei Pater Karel

Nach dem Frühstück füllt sich die kleine Hotellobby. Unser Reiseleiter wie auch die anderen Teilnehmer der Inforeise haben sich eingefunden. Wir sind eine internationale Gruppe von Reiseveranstaltern, die alle Bierreisen anbieten. Nach der Begrüssung bringt uns unser Bus nach Grimbergen.

In der Abtei in Grimbergen wurde im Jahr 1128 zum ersten Mal Bier gebraut. Die Brautradition hielt bis zur Französischen Revolution, während der die Abtei zum dritten Mal abbrannte. Über zweihundert Jahre nach der Französischen Revolution, im Jahr 2021, wurde in den Mauern der wiederaufgebauten Abtei eine brandneue Brauerei eröffnet. «Diese Brauerei bringt das Brauen dorthin zurück, wo alles begann», sagte Pater Karel, der sich als Vorsteher der Abtei am Bau der neuen Brauerei beteiligte und diese auch leitet. Pater Karel sowie der Brauerei-Botschafter Hugo empfangen uns und führen uns zuerst in den Garten der Brauerei. Anschliessend besichtigen wir einen kleinen Erlebnispark und können auf das Geschehen in der kleinen Brauerei Einblick nehmen. Nach der Führung degustieren wir drei vorzügliche Biere der Brauerei Grimbergen uns lauschen den Anekdoten aus die Brauerei..Zum Abschluss serviert uns Pater Karel noch eine besondere Spezilität: Ein Grimbergen Princeps Inter Pares.

Batteliek - Kirche geht auch anders

Wir verabschieden uns und reisen weiter nach Battel in die ehemaligen Sint-Jozef-Kirche. Dort fand die allerletzte Messe im Dezember 2019 statt. Mittlerweile die ehemalige Kirche mit dem Projekt "Batteliek" von der Brauerei Het Anker eine neue Bestimmung gefunden: Die Brauerei wollte einen Treffpunkt für die Einwohner von Battel schaffen. Das ist ihr auch gelungen. Nach gründlichen Renovierungsarbeiten öffnete Batteliek am 25. März 2022 seine Türen und beherbergt jetzt eine Resto-Bar, eine Brauerei, eine Brennerei und eine Limonadenproduktion. Zudem gibt es Werkstätten, in denen Workshops angeboten werden. Der Umbau ist gelungen. Wir geniessen in dieser einzigartigen Atmosphäre einen saftigen Burger zum Mittagessen. Dazu werden wir mit verschiedenen Bieren der Brauerei verwöhnt.  

Hof ten Dormaal - eine der ökologischsten Brauereien Europas

Am Nachmittag steht ein Besuch der Brauerei Hof ten Dormaal auf unserem Programm. Diese befindet sich auf einem alten Bauernhof in den Feldern von Tildonk. Obwohl die Brauerei erst 2009 gegründet wurde, ist sie unter Bierliebhabern aufgrund ihres einzigartigen Konzepts ein fester Begriff. Hier geht Landwirtschaft und Braukunst Hand in Hand. Alle Zutaten, vom Getreide bis zum Hopfen, werden auf dem Hof selbst angebaut. Seit der Einrichtung einer eigenen kleinen Mälzerei, was bei einer modernen Brauerei sehr ungewöhnlich ist, schliesst sich der Produktionskreislauf in der Brauerei vollständig. Das macht Hof ten Dormaal zu einer der ökologischsten Brauereien in Europa und lässt ein alte Brautradition wieder aufleben. André Janssens, der die Brauerei mit seinen beiden Söhne Jef und Dries führt, führt uns durch seinen Hof und zeigt uns die Brauanlagen. Im Verkostungsraum serviert uns der hemdsärmelige André seine Biere. Lebhaft erzählt er uns von seiner Philosophie, seinen Absatzmärkten und den Problemen, die er als kleine Brauerei zu bewältigen hat.

Ein Bier-Gourmet-Menü in der Bierstadt Leuven

Die Zeit ist schon fortgeschritten. Wir verabschieden uns von André und fahren weiter in die charmante Universitätsstadt Stadt Leuven, die für seine Biertradition berühmt ist. Neben der bekannten Biermarke Stella Artois gibt es eine Vielzahl von Brauereien und Kneipen, in denen man als Besucher lokale Biere probieren kann. Wir beziehen unsere Zimmer im Hotel im Hotel Novotel Leuven Centrum, welches gegenüber den riesigen Fabrikhallen der Stella Artois Brauerei befindet, und spazieren anschliessend zum Jachthafen. Dort befindet sich die Gastrobar Hop, ein modernes Lokal, das bei Feinschmeckern beliebt ist. Küchenchef Bram Verbeken steht für ehrliche Gerichte, ohne Schnickschnack, mit einer guten Portion Kreativität und mit einem nostalgischen, belgischen Touch. Die Getränkekarte bietet eine breite Auswahl an lokalen und internationalen Bieren Wir geniessen ein hervorragendes, mehrgängiges Menü. Zu jedem Gang wird das passende Bier serviert. Ein Geschmackerlebnis sondergleichen.

Nach dem Abendessen schlendere ich durch das nächtliche Leuven, wo in den Kneipen um den Grote Markt noch einiges los ist.

De Vlier - die Brücke zwischen Bier und Schaumwein

Die Uhrzeiger stehen auf neun Uhr, als unser Bus in Richtung Holsbeek losfährt. Rund zwanzig Minuten später stehen wir vor der Brauerei De Vlier. Der Bioingenieur Marc Andries hat diese Brauerei, die sich im Keller seines Wohnhauses befindet, vor 15 Jahren gegründet. Neben seinem regulären Sortiment braut Marc mehrere saisonale Biere. Eine Spezialität sind seine bemerkenswerten Aperitifbiere (Brut, Demi-sec und Rosé), mit denen er eine Brücke zwischen Bier und Schaumwein schlägt. Marc führt uns durch die blitzblanken Räume seiner Mikrobrauerei und gibt uns Einblick in seine Geschichte und in seine Produkte. Gegen zehn Uhr morgens steigen wir die Treppe wieder hoch und setzen uns in die Gaststube im Erdgeschoss. Dort dürfen wir die Biere der Brauerei De Vlier verkosten. Sie munden vorzüglich und ich kaufe mir ein Sauerkirschenbier als Mitbringsel.

Bier- und Käse-Tasting mit Belgien's Käsepapst

Unser Bus fährt weiter in den Nordwesten von Belgien. Nach rund einer Stunde erreichen wir die Ortschaft Wetteren in der Nähe von Gent. Wiederum stoppen wir vor einer alten Kirche, die sich beim Betreten als Brauerei entpuppt. Wir befinden uns in der Heilig Hart Brouwerij, die jährlich rund 10 Hektoliter Bier herstellt. Hans Dusselier, der seit fast zwanzig Jahren Bio- und Naturweine vertreibt, hat die ausgediente Kirche vor ein paar Jahren für 285'000 Euro gekauft. Zusammen mit Sohn Victor hat er sie zu einer, getreu seiner Philosophie, Brauerei für Bio- und Naturbiere umgebaut. Die Beichtstühle im Kirchenschiff wurden beim Umbau belassen. Aber anstelle eines Altars, befinden sich nun grosse Tanks sowie zahlreiche Amphoren (Tonkrüge) im Chor. Die Lagerung des Bieres in Amphoren soll für viele Bierstile einen großen Mehrwert bieten, erklärt uns Hans Dusselier,

Wir setzen uns an die Tische im Kirchenschiff und sind gespannt auf das Bier- und Käse-Tasting mit Frédérique Van Tricht, der “Käse-Papst” von Belgien. Er führt bereits in dritter Generation den Kaasaffineurs Van Tricht in Antwerpen. Das Unternehmen ist auf die Veredelung von belgischem Käse spezialisiert und vertreibt seine Produkte weltweit. Frédérique Van Tricht’s Buch über Rohmilchkäse, das er zusammen mit dem Käser Giedo De Snijder geschrieben hat, wurde letztes Jahr bei dem Gourmand World Cookbook Awards zum „besten Käsebuch der Welt“ gekürt. Damit tritt er in sie Fussstapfen seines Vaters, der seinem Buch «Beer and Cheese » Jahre vorher denselben Preis gewann. Frédérique serviert uns eine Platte mit zehn verschiedenen Käsesorten. Dazu werden fünf verschiedene Biersorten aufgetischt. So, dass wir immer zwei Käsesorten mit dem entsprechenden Bier degustieren. Während der Degustation erfahren wir die verschiedenen Feinheiten der Biere und des Käses. Es ist äusserst spannend, wie der Gaumen auf die gut ausgewählten Kombinationen reagiert. Ich bin begeistert.

De Ranke - Braukunst aus Wallonien

Am Nachmittag reisen wir weiter nach Dottignies. Wir befinden uns nun in Wallonien, unweit der französischen Grenze. In einer unscheinbaren Nebenstrasse befindet sich die Brauerei De Ranke, die wir besichtigen. Die Brauerei wurde 2005 von zwei passionierten Bierliebhabern, Nino Bacelle und Guido Devos, gegründet. Dabei spielten sie eine Vorreiterrolle bei der Wiedereinführung von bitteren, hopfigen Bieren auf dem belgischen Markt. Den Hopfen beziehen sie aus der Region und verwenden ihn unverarbeitet (getrockneter ganzer Blütenhopfen). De Ranke ist eine der renommiertesten belgischen Handwerksbrauereien.

St. Bernadus Abt 12 - eines der besten Biere der Welt

Nach dem Frühstück am Samstagmorgen lassen wir uns zu der Brauerei St. Bernadus chauffieren. Diese nahm 1946 ihre Tätigkeit auf. Die Geschichte der frühen Jahre der Brauerei ist eng mit der Geschichte zweier Trappistengemeinschaften verbunden. Lange Rede, kurzer Sinn: Die Brauerei St. Bernardus verdankt ihren Namen den Trappisten von Catsberg in Godewaersvelde (Frankreich), während sie das nötige Know-how und die Rezepte von den Trappisten von Westvleteren erhielt. Die Brauerei braut noch immer vier Biere nach den Originalrezepten, die sie von den Mönchen des Klosters Westvleteren erhalten hat, und zwar unter dem Markennamen 'St.Bernardus'.

Das neue Erlebniszentrum, das wir besuchen, wurde erst im vergangenen Sommer eröffnet. Wir erleben eine interaktive Brauereitour, bei der die einzigartige Geschichte entdecken und die uns Einblicke in die Produktionsräume der Brauerei bietet. Nach der Tour treffen wir uns im Dachrestaurant und geniessen sowohl den herrlichen Blick auf die umliegende Landschaft und die angrenzenden Hopfenfelder der Brauerei wie auch ein traditionelles Mittagessen. Dazu trinke ich ein St. Bernardus Abt 12, dass als eines der besten Biere der Welt gilt. Vor der Weiterfahrt quer durch das Land in Richtung holländische Grenze, erstehe ich noch eine Magnumflasche Abt 12 des Jahrgangs 2014, die mit einem eigenwilligen Etikett des belgischen Künstlers Christian Silvain verziert ist.

Billie's Craft Beer Festival - Treffpunkt der Craft-Bier-Liebhaber

Die knapp zweistündige Fahrt nach Antwerpen nutze ich, um etwas zu dösen. Am späteren Nachmittag haben wir unser Hotel erreicht und uns eingecheckt. Wir machen uns auf den Weg zum Billie's Craft Beer Fest. Seit 2017 organisiert die Antwerpener Craft-Bier-Kneipe Billie's Bier Kafétaria das Festival, bei dem über 50 der renommiertesten und innovativsten Craft-Brauereien aus Belgien sowie anderen Ländern teilnehmen. Besucher haben die Möglichkeit, eine Vielzahl von Bierstilen zu probieren. Sei dies von klassischem belgischem Ale bis hin zu experimentellen und avantgardistischen Kreationen.

Am Eingang der grossen Messehalle erhalte ich mein Probierglas. Das spezielle Glas ist klein und verfügt über eine geeignete Grösse, um möglichst viele Biere zu degustieren. Die Halle ist voll und um die Zapfgeräte, die in der Mitte der Halle aufgestellt sind, wird es eng. Es herrscht eine lockere, gesellige Atmosphäre. Die Livemusik sorgt für zusätzliche die Stimmung, bei den mehrheitlich jungen, männlichen Besuchern aus rund dreissig verschiedenen Ländern. An den Zapfgeräten hat man die Möglichkeit direkt mit den Brauern in Kontakt zu treten und mehr über ihre Biere und Brauprozesse zu erfahren. Jede Brauerei bietet jeweils vier verschiedene Biersorten an. Am zweiten Veranstaltungstag wechselt das Angebot. So ergibt sich eine Auswahl von über 400 Craft-Bieren. Diese Auswahl überfordert mich und so halte ich mich bei den Degustationen an unseren deutschen Bier-Sommelier in der Gruppe. Das erweist sich als guter Entscheid. Ich lerne aussergewöhnliche Biere kennen und bin begeistert von der Braukunst all dieser kleinen Brauereien, die ihr Handwerkt mit grosser Leidenschaft, Begeisterung und Können ausführen.

Belgian Beer World - Brüssel's neuer Biermuseum

Am Sonntagmorgen pünktlich um 8:45 Uhr stehen wir in der Lobby des Hotels. Wir warten auf unseren Fahrer, der uns abholen sollte. Mit einer Viertelstunde Verspätung erscheint er. Es ist im peinlich und er entschuldigt sich. Dann fährt er uns ins Zentrum von Brüssel. Dort besuchen wir die Belgian Beer World. Das Museum wurde erst vor im vergangenen September eröffnet und bietet seinen Besuchern eine interaktive Reise durch die Welt des belgischen Biers, beginnend mit den Ursprüngen und der Tradition bis hin zu modernen Brautechniken und Geschmacksrichtungen. Am Ende der Besichtigung begibt man sich in die zughörige Skybar, welche eine grossartige Aussicht über die Stadt bietet. Gegen Vorlage des Tickers erhält man ein Glas Bier nach Wahl.

Oud Beersel Blendery - Lambic Biere aus Eichenfässern

Für unser Mittagessen verlassen wir Brüssel wieder und begeben uns in Richtung Süden nach Beersel. Unser letzter Brauereibesuch auf dieser Reise steht bevor: Die Oud Beersel Blendery. Die Oud Beersel Blendery hat sich auf die Produktion von spontan vergorenen Bieren spezialisiert, die in Eichenfässern reifen und eine komplexe Mischung aus Aromen und Geschmacksrichtungen entwickeln. Ihre Geschichte geht bis ins Jahr 1882 zurück und sie ist weitherum für ihre traditionellen Lambic-Biere und Gueuzes bekannt. Wir sehen uns die Brauerei an und begutachten die grossen Eichenfässer, in denen das Bier gelagert wird. Anschliessend begeben wir uns in das angrenzende Bierhuis Oud Beersel. In der gemütlichen Kneipe geniessen wir schmackhaftes Mittagessen, begleitet von den Lambic-Biersorten der Brauerei.

Unsere Reise zu den belgischen Nischen-Brauereien neigt sich dem Ende zu und es heisst, Abschied nehmen. Während die amerikanischen Reiseveranstalter noch eine Nacht in Brüssel verbringen, treten wir Europäer die Rückreise an. Ich begebe mich an den Flughafen und fliege von dort zurück in die Schweiz.

Die Bier-Reise war für mich als Weinliebhaber ein ganz besonderes Erlebnis. Die belgischen Biere munden mir sehr gut. Ich bin fasziniert von der belgischen Bierkultur. Dieser Reichtum an Sorten und Brauereien, die dann jeweils noch mit dem eigens dafür kreiert Glas zelebriert wird, ist schon einmalig. Darum ist sie seit dem 30. November 2016 UNESCO-Welterbe.