Ein Reisebericht von Simon Felix

Tschechien gilt als das Land des Bieres. Punkt. Das wissen wir – und es stimmt. Wer durch Prag, Brünn oder Pilsen reist, kommt an frisch gezapftem Pilsner, dampfenden Sudhäusern und traditionsreichen Brauereien kaum vorbei. Doch was viele nicht wissenja: Während in den Städten Bierkultur zelebriert wird, reifen auf sanften Hügeln im Süden des Landes charaktervolle Weine heran – leise, fast im Verborgenen.

Wein aus Tschechien? Unbekannt – aber keineswegs unbedeutend

Der tschechische Weinbau blickt auf eine jahrhundertealte Tradition zurück. Schon im Mittelalter kultivierten Mönche Reben an den Hängen Mährens. Heute gilt vor allem Südmähren als Herz der nationalen Weinproduktion – mit über 90 % der gesamten Rebfläche. Entlang des 49. Breitengrads entstehen hier frische Weissweine, aromatische Sorten wie Pálava oder Sauvignon Blanc sowie zunehmend spannende Schaum- und Rotweine. Die Qualität überzeugt – die Bekanntheit hingegen bleibt gering. Und das hat seine Gründe: Über Jahrzehnte stand der Wein im Schatten des Biers – politisch, wirtschaftlich und kulturell. Während der kommunistischen Ära zählte Masse mehr als Klasse. Bier war allgegenwärtig, Wein spielte eine Nebenrolle. Auch nach dem politischen Umbruch 1989 fehlten zunächst Infrastruktur, internationale Vernetzung – und nicht zuletzt der Wille, sich als Weinland zu etablieren. Erst in den letzten Jahren kam die Wende. Eine junge Generation von Winzern, Investitionen in moderne Kellertechnik, biologischer Anbau und der Stolz auf lokale Sorten lassen den tschechischen Weinbau heute neu aufblühen. Kleine Familienbetriebe setzen gezielt auf Qualität statt Quantität – und das mit Erfolg: Internationale Auszeichnungen häufen sich, Sommeliers und Fachhändler werden aufmerksam

Auch kulinarisch geht die Entwicklung Hand in Hand: In den Weinregionen entstehen Boutique-Hotels, Degustationsräume, Weinbars und regionale Restaurants, die das gastronomische Potenzial des Landes neu definieren.

Um die Region bekannter zu machen, fand in Mikulov dieses Jahr ein Kongress für Weintourismus statt. Dabei durfte ich erleben, wie sich die Region neu erfindet.

Mikulov und Trends am Kongress für Weintourismus

Etwa 70 Minuten dauert die Fahrt vom Wiener Flughafen nach Mikulov. Nach dem Check-in im Hotel erwartet unsere internationale Gruppe von Weinreiseveranstaltern eine erste Begegnung mit der Stadt – bei einer geführten Tour durch das historische Zentrum. Schon beim Ankommen wird klar: Mikulov hat Stil. Majestätisch erhebt sich das Schloss auf einem Kalksteinfelsen über die roten Dächer der Altstadt, eingebettet in sanfte, mit Reben bepflanzte Hügel. Ich spüre sofort: Hier verschmelzen Geschichte, Kultur und Wein zu einem stimmigen Ganzen.

Unsere Führung startet am Hauptplatz, dem Náměstí, eingerahmt von barocken Fassaden, alten Bürgerhäusern und gemütlichen Cafés. Ein kurzer Anstieg bringt uns zum Schloss Mikulov, einst Sitz der Fürsten von Dietrichstein. Prunkvolle Säle, kostbare Möbel und ein besonderes Highlight erwarten uns: der imposante Schlosskeller mit seinem riesigen Weinfass. Dieses hölzerne Monument aus dem Jahr 1643 fasst unglaubliche 101.400 Liter – eines der drei grössten historischen Weinfässer Europas. Es diente einst der Lagerung von Zehntwein, den Bauern als Abgabe an den Adel lieferten. Vom Schloss aus schweift der Blick über den Svatý Kopeček, den „Heiligen Hügel“. Anschliessend führt uns der Weg zur Synagoge. Unsere charmante Stadtführerin bringt uns mit Anekdoten zum Schmunzeln und zum Staunen – über die einst bedeutende jüdische Gemeinde, die Mikulov im 16. und 17. Jahrhundert prägte. Über kopfsteingepflasterte Gassen, vorbei an Weinstuben und kleinen Galerien, kehren wir zurück ins Hotel – voller Eindrücke und Vorfreude auf die kommenden Tage.

An den folgenden zwei Tagen widme ich mich dem Kongress. Fachleute aus aller Welt diskutieren aktuelle Trends im Weintourismus – von Nachhaltigkeit über Storytelling bis zur Digitalisierung. Im B2B-Teil knüpfe ich spannende Kontakte zu regionalen Produzenten und touristischen Anbietern. Ein persönliches Highlight ist die Degustation mit der renommierten tschechischen Sommelière Klára Kollárová. Mit grosser Leidenschaft und beeindruckender Präzision führt sie uns durch eine Auswahl regionaltypischer Rebsorten: Pálava, Riesling, Blaufränkisch, aber auch internationale Vertreter wie Cabernet Sauvignon und Merlot. Jede Probe erzählt ihre eigene Geschichte – und jede ist ein Erlebnis für sich.

Salon vín – Die besten Weine Tschechiens unter einem Dach

Einer der eindrücklichsten Momente unserer Reise war für mich der Besuch des Salon vín im wunderschönen Schloss Valtice. Hier, im ehrwürdigen Kellergewölbe des Barockschlosses, sind die 100 besten Weine Tschechiens versammelt – ausgewählt durch ein anspruchsvolles Blindverkostungsverfahren.

Die Atmosphäre ist einzigartig: gedämpftes Licht, alte Mauern und sorgfältig präsentierte Flaschen, jede mit ihrer eigenen Geschichte. Ich wandere von Wein zu Wein, lasse mir Zeit, lese die Informationstafeln, die neben jeder Flasche angebracht sind. Sie geben Einblick in Rebsorte, Herkunft, Stilistik und die offiziellen Verkostungsnotizen – das ist nicht nur hilfreich, sondern macht richtig Lust aufs Probieren.

Und das tue ich: Glas für Glas entdecke ich die Vielfalt der tschechischen Weinwelt – mal verspielt und aromatisch, mal strukturiert und komplex. Der Salon hilft mir, gezielt nach meinen persönlichen Favoriten zu suchen. Ich verliere mich ein wenig in der Ruhe und Schönheit des Ortes und verlasse ihn mit dem Gefühl, ein Stück mehr über den tschechischen Wein verstanden zu haben.

Schloss Lednice – Märchenhafte Impressionen

Nach dem Kongress geht es weiter mit einer praktischen Entdeckungstour durch Südmähren. Wir starten mit einer Führung durch das märchenhafte Schloss Lednice. Unsere charmante und humorvolle Führerin ist ein echtes „Schlosskind“ – sie lebt seit ihrer Kindheit hier und kennt jedes Detail sowie die spannendsten Geschichten. Sie führt uns durch prunkvolle Salons, zeigt kunstvoll geschnitzte Holzdecken und venezianische Spiegel. Besonders beeindruckend ist das berühmte Wendeltreppenwunder aus einem einzigen Eichenstamm, das wie ein Kunstwerk in den Raum zu schwingen scheint, sowie das beeindruckende Palmenhaus, das mit exotischen Pflanzen begeistert.

Baraque – Weinverkostung auf höchstem Niveau

Vom Schloss Lednice führt uns der Weg direkt zum familiengeführten Weingut Vinařství Baraque in Vrbice. Hier wird die klare, moderne Architektur perfekt mit der sanften Rebenlandschaft vereint – eine gelungene Symbiose aus zeitgenössischem Design und traditionellem Weinbau. Wir werden herzlich von Lenka Machovská, der Frau des Winzers, empfangen und in einer stilvollen Atmosphäre begrüßt. Bei der Weinprobe genießen wir frische, feinfruchtige Weißweine wie den Sauvignon Blanc und die einheimische Sorte Pálava, dazu elegante, finessenreiche Rotweine wie Blaufränkisch und Merlot. Zu den Weinen reichen uns köstliche Häppchen. Vinařství Baraque ist noch ein Geheimtipp für alle, die klare, präzise Weine mit Charakter schätzen.

Sonnentor – Die Welt der Kräuter

Am nächsten Tag geht es zu Sonnentor, einem renommierten Hersteller von Bio-Kräutern und Tees. Die etwa 70-minütige Führung beginnt mit einem kurzen Film über die Entstehungsgeschichte des Unternehmens. 1988 von Johannes Gutmann in Sprögnitz, Österreich, gegründet, expandierte Sonnentor 1992 nach Tschechien und etablierte sich in Čejkovice. Beim Rundgang erfahren wir, wie die Bio-Produkte entstehen – von der sorgfältigen Auswahl der Rohstoffe bis hin zur liebevollen Verpackung. Viele der Rohstoffe stammen von lokalen Bauernbetrieben. Die Vielfalt an Kräutern und die Kooperation mit den Bauern erinnert mich an Ricola, das ja nur 200 Meter von genussreisen.ch entfernt erfunden wurden.

Velké Bílovice – Weinbau mit Herz

Velké Bílovice, mit über 760 Hektar Weinbergen die größte Weinbaugemeinde des Landes, ist bekannt für die Veranstaltung „Von Keller zu Keller“, die jedes Jahr im April stattfindet. Dabei haben die Teilnehmer die Gelegenheit, verschiedene Weinkeller zu besichtigen und lokale Weine zu verkosten. Wir besuchen das Weingut Vinařství Velké Bílovice, Die Winzerin Lubomíra Hornáková empfängt uns herzlich. Sie stammt ursprünglich aus der Slowakei und verantwortet seit fast fünf Jahren mit viel Leidenschaft und Innovation. Heute führt sie uns durch vier herausragende Weißweine: Sauvignon Blanc, Pálava, Welschriesling und Pinot Blanc. Während des Gesprächs schenkt sie uns einen halbtrockenen Riesling ein, der mit einer Goldmedaille bei der AWC Vienna 2024 ausgezeichnet wurde. Danach erhalten wir einen Einblick in den Betrieb, der mit einer Jahresproduktion von 4 Millionen Litern zu den führenden Weinverarbeitern Tschechiens zählt. Dank modernster Technologie bietet das Weingut auch Abfüllung und Vertrieb von Bag-in-Box-Weinen an. Neben eigenen Weinen importiert das Weingut auch Weine aus dem Ausland.

Art Wine Hall und Kurdejov – Schaumwein und Stil

In Kurdějov befindet sich die Art Wine Hall – ein einzigartiger Ort, der Wein, Kunst und Kulinarik harmonisch vereint. Ursprünglich als Tennishalle konzipiert, wurde sie zu einem multifunktionalen Raum umgestaltet, der heute als Weingut, Kunstgalerie und Veranstaltungsort dient. Hier degustieren wir die hauseigenen Schaumweine der Marke ARONN, die nach der traditionellen Champagnermethode hergestellt wird. Die Trauben stammen aus biologischem Anbau in Kurdějov und Umgebung, was den Weinen eine besondere Qualität und Authentizität verleiht. Unsere Führung erklärt uns die einzelnen Produktionsprozesse sowie die Maschinen, die für die Produktion von Schauweinen benötigt werden. Während unserer Führung probieren wir die vielfältigen, eleganten und feinperligen Weine.

Vinařství SPIELBERG: Degustation mit Cimbalom-Klängen

Unseren letzten Abend verbringen wir auf dem Weingut Vinařství SPIELBERG in Archlebov. Das mehrfach ausgezeichnete Haus zählt zu den renommiertesten Weingütern Tschechiens. Mit seiner mediterran anmutenden Architektur erinnert es an die Toskana und bietet einen stilvollen Rahmen für genussvolle Stunden. 2017 wurde SPIELBERG mit dem Titel Winzer des Jahres“ geehrt – eine der höchsten Auszeichnungen der tschechischen Weinwelt.

Wir genießen eine exklusive Degustation der ausgewählten Weine, begleitet von einem köstlichen Abendessen. Währenddessen unterhalten uns fünf junge Musiker mit traditioneller Cimbalom-Musik. Die warmen, lebendigen Klänge dieses Privatkonzerts verleihen dem Abend eine ganz besondere Atmosphäre.

Schloss Austerlitz – Geschichte zum Anfassen

Am nächsten Morgen besuchen wir das geschichtsträchtige Zámek Slavkov, das man bei uns als Schloss Austerlitz kennt. Ein architektonisches Juwel aus der Barockzeit mit tiefen historischen Wurzeln. Hier verbrachte Napoleon nach der Schlacht bei Austerlitz im Dezember 18005 die Nacht und vier Tage später wurde im ovalen Gesellschaftssaal der Waffenstillstand zwischen Frankreich und Österreich unterzeichnet.

Die prachtvollen Säle und historischen Ausstellungen gewähren uns faszinierende Einblicke in diese bedeutende Zeit. Besonders beeindruckend sind die Deckenfresken des italienischen Malers Andreas Lanzani im ältesten Westflügel sowie der sogenannte „Balkon Napoleons“ im Ahnensaal, dem ehemaligen Speisesaal der Kaunitz. Natürlich besichtigen wir auch den historischen ovalen Gesellschaftssaal und das Napoleon-Zimmer.

Sonberk – Krönender Abschluss

Zum Abschluss unserer Reise besuchen wir das Weingut Sonberk, eines der bekanntesten der Region. Inmitten der sanften Hügel des Pálava-Gebirges bietet das moderne Weingut einen atemberaubenden Blick auf den Thaya-See. Das architektonisch preisgekrönte Gebäude, entworfen von Josef Pleskot, einem der führenden tschechischen Architekten, fügt sich perfekt in die Landschaft ein.

Bei unserem Rundgang erfahren wir spannende Details zur Weinproduktion, begleitet von einem Sommelier, der uns tiefere Einblicke in die Geschichte und die Philosophie des Weinguts gibt. Wir probieren kraftvolle Weißweine, die mit viel Leidenschaft und Hingabe produziert wurden.

Schlusswort

Südmähren hat mich überrascht und begeistert. Die Kombination aus Kultur, Geschichte, Gastronomie und herausragendem Wein macht die Region zu einem echten Geheimtipp. Ich komme wieder. Und natürlich werde ich künftig auch Reisen in diese Region anbieten.